Der Unimog 2010 bei der Schweizer Armee

von Claudio Lazzarini

 

Der Unimog 2010 war das kleinste mit einem Dieselmotor angetriebene Fahrzeug der Schweizer Armee, weshalb es von der Truppe liebevoll „Dieseli“ genannt wurde. Es prägte während vier Jahrzehnten das militärische Strassenbild. Im nachfolgenden Artikel versuche ich anhand bisher der Öffentlichkeit nicht erschlossener Dokumente aus dem Schweizerischen Bundesarchiv etwas Licht in die Geschichte über die Einführung und Verwendung des Unimog 2010 bei der Schweizer Armee zu bringen. Die mir zum heutigen Zeitpunkt erst lückenhaft vorliegenden Unterlagen reichen für eine wissenschaftliche Beweisführung nicht aus, sie genügen aber als Evidenz für einige Feststellungen grundsätzlicher Natur. Das Quellenmaterial zu diesem Artikel kann hier eingesehen werden.

Die Geschichte des Unimog 2010 bei der Schweizer Armee ist untrennbar mit derjenigen des Boehringer-Unimog  verknüpft, denn aus den Unterlagen geht hervor, dass die Schweizer Armee Im Jahre 1950 vier Boehringer-Unimog als Versuchsträger beschafft hat. Unter anderem waren diese Fahrzeuge im September 1950 bei den „Leichten Truppen“ (Kavallerie, Radfahrer, Motordragoner) im Hinblick auf ihre Eignung „als Gruppenfahrzeug für die Einheits-Maschinengewehr-Gruppe; als Gruppenfahrzeug für die Raketenwerfer-Gruppe und als teilweisen Ersatz für Jeeps und (Dodge) Weapons Carrier“ zu beurteilen. Aber auch bei den Übermittlungstruppen wurden die Versuchsfahrzeuge im Wettbewerb mit dem Jeep getestet. Am 10. Dezember 1950 fand dazu unter dem Vorsitz eines Zweisterngenerals eine gross angelegte Vorführung vor Entscheidungsträgern der Infanterie, der Artillerie, der Fliegertruppen, der Genietruppen und der Abteilung für Heeresmotorisierung statt.

Im Gegensatz zum bereits eingeführten Jeep war der Unimog den Anwesenden weitgehend unbekannt, und wurde daher vorgestellt als „Fahrzeug deutscher Herkunft, besitzt die Eigenschaften des Jeep, ist mit Dieselmotor betrieben. Das Fahrzeug ist eine Kombination von Jeep und Dodge“. Ein Teilnehmer ergänzte zudem bewundernd: „in Thun sind mit diesem Fahrzeug Versuche angestellt worden, wobei das Fahrzeug eine (2,2t) 10,5cm Haubitze den Zielhang hinaufzog“.

Der geringe Bekanntheitsgrad des Unimog ist angesichts des im Protokoll enthaltenen Hinweises, wonach im Dezember 1950 in der Schweiz erst 12 Unimog in der Privatwirtschaft vorhanden waren, nicht weiter erstaunlich.

Die anwesenden Vertreter der Waffengattungen waren sich einig, dass der Leitungsbau künftig motorisiert erfolgen muss und dass dabei pro Bautrupp zwei geländegängige Fahrzeuge zu beschaffen sind. Für die Infanterie stand dabei der Jeep als Trägerfahrzeug im Vordergrund. Massgebend für diese Wahl war die Tatsache, dass die Infanterie, als weitaus grösste Truppengattung, auf zahlreiche Requisitionsfahrzeuge angewiesen war und dieses Bedürfnis nur mit dem Jeep befriedigt werden konnte. Die anderen Waffengattungen tendierten zum Unimog, wobei die Frage kontrovers diskutiert wurde, ob dieser aufgrund seiner relativ hoch montierten Ladebrücke nicht nur als Auslegefahrzeug sondern auch als Verlegefahrzeug geeignet sei. In der Folge wurden zwei Willys-Jeep-Truck 473 beschafft und in der Rekrutenschule getestet. Es kam wie es aus Sicht eines Unimog-Fan kommen musste: der kombinierte Einsatz der verschiedenen Fahrzeuge hat sich nicht bewährt und der motorisierte Leitungsbau blieb eine reine Unimog-Domäne.

Zu einem noch nicht erschlossenen Zeitpunkt Ende 1950 wurden offensichtlich vierzig weitere Boehringer beschafft, denn einem Schreiben vom 10. Februar 1951 ist zu entnehmen, dass „die 40 für die Übermittlungstruppen bestimmten Unimog-Geländelastwagen M+30‘700 bis M+30‘739 im Jahr 1951 noch nicht der Truppe in die Wiederholungskurse abgegeben werden, da die Kabelgestelle dazu erst in Beschaffung sind“.

Am 5. März 1951 unterzeichnete das Militärdepartement eine Bestellung über weitere 150 Unimog, welche über eine Firma „Ed. Hof, Mainaustrasse 31 in Zürich“ geliefert werden sollten. Mit der Zwischenschaltung dieses zivilen Lieferanten wurde der durch die amerikanische Verwaltung auferlegten „production order“ Rechnung getragen, wonach der Unimog nur für zivile Zwecke produziert werden dürfe.

Auf dem heutigen Kenntnisstand basierend vertrete ich die Überzeugung, dass die über Ed. Hof erfolgte Bestellung keine Boehringer-Unimog mehr betraf, sondern ausschliesslich Unimog 2010. Ich stütze diese Haltung auf ein aufgefundenes Schreiben der Kriegstechnischen Abteilung nach Gaggenau vom 7. Februar 1953, in welchem unter anderem die Schmierung der Doppelkreuzgelenke an den Vorderachsen zur Sprache kommt. „Ausserdem stellten wir fest, dass die Doppelgelenke der Vorderachswellen bei den ersten 44 von Boehringer gelieferten Fahrzeugen ohne Schmiernippel versehen sind. Solche Gelenke waren bereits nach 5000 km defekt. Die ersten durch Sie gelieferten Fahrzeuge wiesen dann einen Schmiernippel auf, später dann deren zwei, was wir als richtig erachten, da die Schmierung mit nur einem Nippel nicht sicher gewährleistet werden kann. Unsere Fahrzeug verwaltende Instanz verlangt nun die Normalisierung auf zwei Schmiernippel bei sämtlichen Unimog inklusive der durch uns bestellten Ersatzteile.“

Am 14. März 1952, erfolgte die nächste Bestellung, welche 210 Fahrzeuge umfasste und direkt bei der Daimler-Benz AG in Gaggenau platziert wurde. Sie setzte sich zusammen aus 60 Unimog ohne Druckluftanlage (U 2010.1) und 150 Fahrzeuge des Baumuster U 2010.4 mit Druckluftanlage. Nach Ablieferung dieser Fahrzeuge verfügte die Schweizer Armee über 400 Unimog, was auch in einem Schreiben nach Gaggenau bestätigt wird, in welchem Anpassungen beim Kühlwasserablasshahn gefordert werden. Für die U 2010.4 in Standardausführung wurde CHF 12‘920.- in Rechnung gestellt; für diejenigen Exemplare, welche werkseitig für den nachträglichen Einbau der Rahmenseilwinde Modell Schneider vorbereitet waren, kamen weitere CHF 180.- für die notwendigen Änderungsarbeiten am Fahrzeugrahmen auf die Rechnung.  

Bereits am 8. August 1952 wurde ein weiterer Auftrag über 180 Fahrzeuge erteilt. Über diese Lieferung, in welcher sich auch der im Unimog-Museum stehende U 2010 befand, bin ich derzeit am besten dokumentiert. Der Auftrag wurde in sechs Teillieferungen zu dreissig Fahrzeugen innert bloss zweier Monate abgewickelt und der Preis pro Fahrzeug betrug CHF 11‘590.-

Für das Jahr 1953 liegen mir nur Erkenntnisse über den Erwerb von 1+14 Trägerfahrzeugen U 401 Westfalia (Frösche) für Schneefräsen vor.

Eine mir vorliegende Auflistung  vom 11. Februar 1954 über sämtliche per Jahresanfang in der Armee vorhandenen Motorfahrzeuge weist einen Bestand von 584 Unimog-Motorfahrzeuge (ohne Schneeräumgeräte) aus. Diese Zahl bestätigt die von mir vorstehend gemachten Ausführungen (44 Boehringer+150 +210 +180 Unimog 2010 = 584 Fahrzeuge).

Dem genannten Bestand stellte sich ein Bedarf von 602 Fahrzeugen gegenüber. Die fehlenden 18 Fahrzeuge wären im Ernstfall durch Requisition ziviler Unimog beschafft worden; dafür waren zu jenem Zeitpunkt 154 zivile Unimog als Requisitionsbasis identifiziert und „militärisch belegt“.

Am 4. Juni 1954 schliesslich wurden erneut 60 Unimog bestellt, wobei unter anderem festgelegt wurde, dass auf das mittlerweile zum U 401 mutierte Fahrzeug kein Mercedes-Stern zu montieren sei.

Am 10. Mai 1955 wurde ein weiterer Auftrag über 15 U 401 in der offenen Ausführung erteilt, welche als Trägerfahrzeuge für Rolba-Schneeschleudern vorgesehen waren.

Letzte Bestellungen von „Dieseli“ sollten in den Jahren 1966 und 1969 erfolgen, als 60 respektive 40 Unimog 411.118 zur Kompensation der schrumpfenden Requisitionsbasis an zivil eingelösten Unimog und als Ersatz für zwischenzeitlich ausgeschiedene Fahrzeuge beschafft wurden.

In Bezug auf die Ersatzteilversorgung stützte sich die Armee auf zwei Formen der Lagerhaltung ab. Einerseits wurde – wie bei anderen Rüstungsgüter auch üblich – umfangreiche eigene Ersatzteillager angelegt – in der Regel im Ausmass von 20%-25% des Investitionsvolumens. Zusätzlich wurde Daimler-Benz verpflichtet, in ihrer schweizerischen Vertretung stets eine vorgeschriebene Mindestmenge an Ersatzteilen an Lager zu halten, und zwar über die ganze vorgesehene Nutzungsdauer der Fahrzeuge in der Armee hinweg, welche die Kriegstechnische Abteilung am 23. Januar 1952  mit einer Zeitdauer von zehn Jahren“ veranschlagte. Die Mindestzahl der auf Lager zu haltenden kompletten Baugruppen betrug pro 50 gelieferte Fahrzeuge je einen kompletten Motor, ein Getriebe, eine Vorderachse, eine Hinterachse sowie einen Lenkstock. Am 11. Oktober 1954 wurde die Daimler-Benz von der Verpflichtung zur Lagerhaltung entbunden und die vorliegenden Teile in den Bestand der Armee überführt.

An den fabrikneuen Fahrzeugen wurden zahlreiche Anpassungen vorgenommen, damit diese den spezifischen Bedürfnissen der Armee noch besser entsprechen konnten. Unverkennbares Merkmal eines „Schweizer Unimog“ sind die am Fahrzeug angebrachten Schanzwerkzeuge, das auf der Motorhaube befestigte Abschleppseil und die für Schweizer Armeefahrzeuge typischen vorderen Richtungsblinker und die Rücklichter.  Eine Zusammenstellung der Modifikationen findet sich hier. Die genannten Anpassungen am Fahrzeug wurden durch das zivile Karosseriegewerbe durchgeführt und der für die so genannte Helvetisierung notwendige Zeitbedarf erklärt, wieso die Erstzulassung eines Fahrzeuges mehrere Monate hinter seinem Ablieferungszeitpunkt sein kann.

Während der gesamten Nutzungsdauer waren die kleinen Unimog mit Ausnahme der Schneeräumgeräte ausschliesslich als Leitungsbaufahrzeuge eingesetzt, und zwar für die Übermittlungsformationen der Waffengattungen Artillerie, Genie, Fliegertruppen und für die Übermittlungstruppen. Anlässlich der Sonderausstellung „Unimog bei den Streitkräften“, welche vom 25. April bis zum 3. Oktober im Unimog-Museum stattfindet, wird der dort ausgestellte Unimog 2010 mit dem Original-Leitungsbaumaterial zu einem Schweizer  „Dieseli“ aufgerüstet.

Anfangs der 1980er Jahre begannen sich die Reihen der Dienst leistenden Unimog rasch zu lichten, denn bei anstehenden grösseren Reparaturen wurde jedes Mal hinterfragt, ob sich die Investition in die mittlerweile dreissigjährigen Fahrzeuge noch rechnet. Andernfalls wurde das Fahrzeug aus dem Bestand genommen und freihändig oder anlässlich der legendären jährlichen Versteigerung in Thun auf den Markt gebracht.

In der Übermittlungsschule vom Sommer 1986 in Kloten wurden letztmals Rekruten am Fahrzeug ausgebildet und in den jährlichen Wiederholungskursen der Truppe wurden die kleinen Unimog bis Ende 1989 eingesetzt. Ende 1989 wurde die ganze Unimog-Flotte ausgemustert, vorerst noch in Reserve gehalten und in den Folgejahren schrittweise liquidiert. Als Nachfolgefahrzeug steht seither der Daimler-Puch 230 G im Einsatz.   

Meine Zusammenfassung der Geschichte des Dieseli bei der Schweizer Armee endet mit der Bitte und der Aufforderung, eigene Erkenntnisse zu melden, damit sich die noch vorhandenen Lücken möglichst rasch schliessen. Gerne teile ich auch die mir bekannten Informationen mit den heutigen Besitzern der früheren Dieseli. Hinweise und Kommentare nehme ich über das Kontaktformularfeld mit Interesse entgegen.